Tierfreunde wussten eigentlich schon immer, dass auch Tiere eine individuelle Persönlichkeit haben. Die zoologische und tierpsychologische Forschung konzentrierte sich dagegen lange Zeit nur auf die Untersuchung des typischen Verhaltens einer Art oder auch auf Unterschiede im Verhalten zwischen den Arten. Gosling, Kwan & John (2003) gebührt das Verdienst, in einer aktuellen Studie untersucht zu haben, ob sich Modelle der menschlichen Persönlichkeit auf Haushunde übertragen lassen.
Das weitverbreitetste Modell der menschlichen Persönlichkeit unterscheidet auf einer sehr allgemeinen und bereichübergreifenden Ebene zwischen fünf Basistendenzen der Persönlichkeit, die als Neurotizismus (emotionale Empfindlichkeit), Extraversion (Reiz- und Stimulationsbedürfnis), Verträglichkeit (prosoziale Einstellungen & Verhaltensweisen), Offenheit für Erfahrungen (Bereitschaft und Bedürfnis, sich auf Neues einzulassen) und Gewissenhaftigkeit (Selbstkontrolle, z. B. Tugenden wie Ordnung, Pflichtbewusstsein und Selbstdisziplin) bezeichnet werden. In umfangreichen Untersuchungen konnte belegt werden, dass diese fünf Faktoren, genannt Big Five, sich in den verschiedensten Kultur- und Sprachräumen nachweisen lassen (siehe Überblick bei Pervin & John, 2001). Zudem bleibt die individuelle Persönlichkeit, auch wenn gewisse Alterstrends bestehen (siehe z. B. Srivastava, John, Gosling & Potter, 2003), insgesamt, wenn es zu keinen dramatischen Ereignissen kommt, lebenslang relativ stabil.
Gosling et al. (2003) stellten sich die Frage: Eignen sich diese fünf Faktoren der menschlichen Persönlichkeit ebenfalls zur Beschreibung und Erklärung individueller Verhaltensunterschiede von Haushunden? Hierzu ließen sie Hundebesitzer, ihre Freunde und unabhängige Beobachter eine Reihe von Hunden auf festgelegten Bewertungsdimensionen einschätzen. Mit Hilfe von statistischen Verfahren konnte im Anschluss gezeigt werden, dass sich die unterschiedlichen Bewertungen auf vier zugrunde liegende Dimensionen reduzieren ließen. Diese vier Dimensionen entsprechen vier der fünf Faktoren des Fünf-Faktoren-Modells der menschlichen Persönlichkeit. Sie wurden von den Autoren folgendermaßen benannt: (1) Energie (Extraversion), (2) Positive Zuwendung/Zärtlichkeit (Verträglichkeit), (3) Emotionale Reaktivität (Neurotizismus) und (4) Intelligenz (Offenheit für Erfahrungen). Allerdings ließ sich die Dimension der Gewissenhaftigkeit bei Hunden, im Gegensatz zu Menschen, nicht identifizieren. Demgegenüber konnten King and Figueredo (1997) sowie neuerlich King, Weiss und Farmer (2005) bei Schimpansen zusätzlich zu den anderen Big Five auch einen Faktor der Gewissenhaftigkeit identifizieren. Aspekte des Fünf-Faktoren Modells der Persönlichkeit wurden zudem durch andere Forschergruppen auch bei weiteren Tierarten gefunden, u. a. bei Gorillas, Katzen, Octopussen, Schweinen, Zebrafinken, Hyänen und vielen anderen (siehe Überblick bei Gosling, 2001).
Zusammenfassend ergibt sich, dass die individuelle Organisation der Persönlichkeit artübergreifenden Charakter aufweist. Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere verfügen über eine Persönlichkeit, die maßgeblich, im Zusammenspiel mit Faktoren der Umwelt, das Verhalten bestimmt. Dies unterstreicht gleichzeitig die grundlegende Bedeutung, die den Befunden der Persönlichkeitsforschung bei der Beschreibung und Erklärung des menschlichen ebenso wie des tierischen Verhaltens zukommt.
King, J.E. & Figueredo A.J. (1997). The five-factor model plus dominance in chimpanzee
personality. Journal of Research in Personality, 31, 257 – 271.
King, J. E., Weiss, A., & Farmer, K. H. (2005). A Chimpanzee (Pan troglodytes) analogue of cross-national generalization of personality structure: Zoological parks and an african sanctuary. Journal of Personality, 73, 389-410.
Gosling, S. D. (2001). From mice to men: What can we learn about personality from animal research. Psychological Bulletin. 127, 45-86.
Gosling, S. D., Kwan, V. S. Y., & John, O. P. (2003). A Dog’s Got Personality: a cross-species comparative approach to personality judgements in dogs and humans. Journal of Personality and Social Psychology, 85, 1161-1169.
Pervin, L.A. & John, O.P. (2001). Handbook of personality: Theory and research. New York: Guilford.
Srivastava, S., John, O.P., Gosling, S.D. & Potter, J. (2003). Development of personality in early and middle adulthood: Set like plaster or persistent change? Journal of Personality and Social Psychology, 84, 1041-1053.